Coffee no go

Sich auf dem Sofa liegend ziellos durch die Kanäle zu zappen, ist an einem verregneten Sonntagnachmittag nicht der schlechteste Zeitvertreib – und unabhängig von der Wetterlage häufig ja auch sehr bereichernd. (Immer nur das zu sehen, was man sehen will, bringt ja niemanden weiter.) Auf einer solchen Expedition durch die Fernsehwelten kam ich neulich an einem Spielfilm vorbei, den ich als Kind schon einmal gesehen habe, zu dem ich aber eigentlich nichts Auffälliges erinnere: „Das indische Grabmal“. Dabei ist es unglaublich, was man zu sehen bekommt: Die Schauspieler, die in diesem deutschen Spielfilm von 1959 die Inder spielten, sind allesamt mit brauner Schuhwichse angemalt wie weiland beim Sternsingen der Melchior, und auch sonst wirken die Kulissen ähnlich echt wie bei „Bonanza“ oder „Raumschiff Enterprise“. Dabei handelt es sich beim „Indischen Grabmal“ keineswegs um irgendein billig produziertes B-Movie, sondern immerhin um einen Film von Fritz Lang, der in seiner Zeit durchaus ein Kassenschlager war.

Gott sei Dank ist die Simulation von Realität in Kino und Fernsehen im Laufe der Jahre immer besser geworden (was sich paradoxerweise am besten im Science-Fiction- und Fantasy-Genre zeigt). Umso unbegreiflicher erscheint es da, dass man auf Leinwand und Bildschirm bis heute nicht in der Lage ist, eine der banalsten Alltagshandlungen überzeugend darzustellen: das Kaffeetrinken. Warum das so ist, ist mir ein Rätsel, aber wo man hinschaut, wird mit dem Becher in der Hand gestikuliert und herumgefuchtelt, dass es die wahre Pracht ist, im echten Leben aber jeder in einem Radius von fünf Metern über und über mit brauner Brühe beschüttet wäre.

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Der Versuch einer bildlichen Illustration des Problems.

Selbst die reine Fortbewegung mit Kaffeetasse (ein klassischer Topos im Fernsehkrimi) gerät senderübergreifend in den seltensten Fällen glaubhaft. Denn wo vorsichtiges Balancieren angebracht wäre, wird forsch weitausgeschritten, als drohe nirgends das Risiko des Verschüttens oder einer verbrannten Hand. Eine gewisse Steigerung erfährt dieses eklatante Versagen der Schauspielkunst dort, wo statt der klassischen Henkeltasse das zeitgenössisch vorherrschende Kaffeebehältnis ins Spiel kommt: der Pappbecher. Was man da sieht, ist selbst für den Wohlmeinendsten kaum mehr zu ertragen. Denn egal, wie fragil, gut gefüllt und temperatursensibel so ein dünnhäutiges Coffee-to-go-Becherchen auch sein möchte, es wird von energischen Kommissaren bei Beratung oder Arbeit mit festem Griff gepackt und in den absurdesten Winkeln und Geschwindigkeiten herumgeschwenkt und zum Mund geführt, bevor dann so schnell und kurz und daran genippt wird, dass es in echt nicht zur Aufnahme eines halben Grammes Wasser reichte. Das Problem dabei ist eigentlich immer dasselbe: Obwohl es doch eigentlich nicht so schwer sein kann, wird nie mitgespielt, dass in Tasse oder Becher etwas drin ist und dass das eventuell auch noch heiß ist.

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Aus dieser Perspektive werden Kaffeetassen im TV aus gutem Grund selten gezeigt.

Ähnlich dilettiert wird meist auch da, wo verreist wird und Gepäckstücke dies illustrieren sollen. Hier werden dann regelmäßig einbauküchengroße Koffer mühelos angehoben und ohne jedwede weitere sichtbare Anstrengung einhändig zum Auto und in den Kofferraum geschlenkert, als handele es sich um ein Päckchen Watte. Vielleicht würde es schon helfen, mal ein paar Wackersteine hineinzutun. Vielleicht ist es aber auch höchste Zeit, bei Folkwangs und Ernst Buschs endlich mal einen verpflichtenden Method-Acting-Workshop zum Thema einzuführen: „Da schmeckt man das ganze Aroma – Kaffeetrinken für Anfänger“ (Leitung: Frau Sommer). Sollte das allein nicht semesterfüllend sein, könnte man den Kurs ggf. noch um eine Lektion in Sachen Telekommunikation erweitern. Denn auch beim realitätskonformen Telefonieren liegt ja im internationalen Film- und Fernsehbusiness einiges im Argen (nicht nur weil dauernd ohne Tschüss und Abschiedsformel aufgelegt wird).

Wenn man die Fiktion also erfolgreich aufrechterhalten und nicht erfolgreich sichtbar machen möchte, gibt es auch heute noch einiges zu tun. Denn man will ja nicht dauernd so brutal aus der Handlung und Simulation von echter Unterhaltung herausgerissen werden, wie neulich bei diesem ZDF-Krimi: Beim Abtransport einer Leiche auf unwegsamen Gelände gerieten die Sargträger plötzlich ins Stolpern, und so schnell und leicht, wie dabei auch der Sarg in ihren Händen hüpfte, war dem kaffeebechergeübten Auge sofort klar: Da ist nix drin.

PS: Ist eigentlich schon mal jemand aufgefallen, dass man im HD-Fernsehen immer ganz schlimm deutlich sieht, wie stark die Schauspieler geschminkt sind? Das ist eigentlich wie beim „Indischen Grabmal“.

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