In meinem nur wenige Tage zurückliegenden, wohlverdienten Urlaub habe ich in einem Zwei-Sterne-Hotel übernachtet und in einem Fünf-Sterne-Airbnb-Apartment. Daher kann ich nun von Schimmel erzählen und von fledermausgroßen Küchenschaben. Das ist schlimm. Aber noch viel schlimmer ist, dass es qualitätsmäßig eigentlich keinerlei Unterschiede zwischen den beiden Herbergen gab. Oder andersherum: Die kleinen schwarzen Freunde im Airbnb-Quartier haben mich doch recht kalt erwischt, während ich im Falle des Hotelzimmers vorher schon geahnt hatte, dass es nicht so schön werden würde.
Doch wie immer möchte ich nicht klagen, sondern dem Problem auf den Grund gehen, das da lautet: Wie konnte es zu so einem fatalen Fünf-Sterne-Irrtum kommen? Auf diesem langen und beschwerlichen Weg treffen wir natürlich gleich hinter der ersten Ecke auf den üblichsten Verdächtigen unserer Tage: das Internet respektive seine (a)sozialen Medien und Plattformen. Das hat zwar auch in diesem Fall kein Alibi, haben die vielen Homesharing-, Reise- und Buchungsportale doch kaltherzig nicht nur Legionen von Reisebüros den Garaus gemacht. Aber dank des weltweiten Zugriffs auf Informationen, Produkte und Dienstleistungen sowie der deutlich verbesserten Ausgangsbasis für privates Unternehmertum, die das Internet ja ebenfalls bietet, gibt es auch zahllose Mittäter.
So kann auf dem von vielen bürokratischen Fesseln und physikalischen Restriktionen befreiten Internetmarkt einerseits jeder Honk sein privates, handykameragefiltertes Silberfischchen-Aquarium für teuer Geld an ahnungslose Mitweltbürger vertickern. Andererseits führen die viel gepriesene Verknüpfung von Wissen und Information sowie die gesteigerten Möglichkeiten zu direkter Demokratie im Falle von Airbnb und anderen (Verkaufs-)Plattformen auch dazu, dass jeder Honk zu allem seinen Senf dazugeben kann (und dann natürlich auch will). Ja, oft soll und muss er es sogar. Denn elementarer Bestandteil solcher Portale ist ja das Bewertungssystem, das statt auf elitäre Expertise auf das Urteil und den Geschmack der breiten Masse setzt. Die ehrliche, interessenfreie Meinung von Otto und Jürgen Normalverbraucher ist es, die aufsummiert und auf den Durchschnitt gerechnet vermeintlich Transparenz und Objektivität ermöglicht. Die Messung von Qualität mt Hilfe von Quantität ist somit aber auch das Prinzip der Sterne-Wertung.
Dies ist umso erstaunlicher, als viele Lösungen, die das Internet und seine Akteure hervorgebracht haben, ja überraschend neu, clever, effizient und revolutionär waren. Da fragt man sich schon, ob es einen guten Grund hat, dass ihnen diesmal nichts Besseres eingefallen ist, als ein simples Großgruppenurteil mit Mittelwertrechnung, also herkömmliche Statistik, zu des Pudels Kern zu machen. Die Folgen jedenfalls sind fatal: Weil es die Masse (außer bei Steinigungen) eben nicht macht, sind all diese Bewertungssysteme im Grunde gänzlich untauglich und bieten dem suchenden Individuum keinerlei Orientierung. Ich meine, rechnen Sie bitte einmal selbst: Zehnmal fünf Sterne von Idioten – was macht das?
Nun liegt hinter all diesen verlockend funkelnden Sternen natürlich meist auch noch ein ganzes Universum an Text. Denn Otto und Jürgen schreiben sich im Kommentarfeld ja oft auch noch ihren ganzen Frust bzw. ihre ganze ungebremste Begeisterung über den letzten Urlaub und die dazugehörige Heimstatt von der Seele. Aber nicht nur bei Airbnb oder Tripadvisor gilt: Es ist eindeutig zu viel Verkehr auf dem Information-Highway. Mehr als fünf oder sechs Bewertungen lese ich jedenfalls nie. Und auch diese frohen Botschaften oder bösartigen Bekanntmachungen sind in der Regel wenig hilfreich, weil man einfach nicht weiß, wem man nun Glauben schenken soll: dem, der womöglich unter Zuhilfenahme zahlloser Komma- und Rechtschreibfehler das Produkt in den höchsten Tönen bejubelt, oder dem, der wortgewandt und wütend, aber eben doch ungerecht in seinem Zorn den Hersteller auf das Übelste beschimpft?

Big Data hin oder her: Man kauft doch immer nur die Katze im Sack. Weil einem nur Otto und Jürgen dazu raten. Und weil man Otto und Jürgen gar nicht kennt. Um aus dem nutzlosen Sternschnuppen-Scoring ein halbwegs aussagefähiges System zu machen, bräuchte man zumindest mal ein paar soziodemografische Daten und Hintergrundinformationen zu den beiden ominösen Herren, also eine Art Bewertung der Bewerter. Läse ich dann zum Beispiel „Otto, Lieblingssendung: ,Frauentausch‘“ oder „Jürgen, Leibspeise: Fischstäbchen“, wäre mir manches sofort klarer. Andererseits hat mir aber auch schon einmal meine beste Freundin ein Buch geschenkt, das ihr überaus gut, mir aber überhaupt nicht gefallen hat.
Ob man auf dem Weg der subjektiven, situativen, schnellen und leicht zu verändernden Urteile also überhaupt weiterkommt, ist fraglich. Erschwerend kommt hinzu, dass die all den Tiraden/Suaden zugrunde gelegten Bewertungsmaßstäbe nicht immer klar bzw. manchmal sogar schlichtweg falsch sind. Im erwähnten Urlaub zum Beispiel sollte eine Konsultation des unter dem Label „Tripadvisor“ gesammelten Schwarm-Wissens bei der Restaurantsuche helfen. Doch schon bald schien es, dass in diesem Guide Michelin der Mittellosen der Freundlichkeit der Kellner mehr Aufmerksamkeit geschenkt würde als den Künsten des Kochs. Wir zogen es daher vor, das unbekannte Terrain fürderhin unberaten zu erkunden. (Für einen Jahresurlaub im Sinne eines Abenteuers oder einer echten Entdeckungsreise ist das ja auch eigentlich die bessere Wahl.)
Angesichts der Tatsache, dass nicht nur in südlicheren Gefilden inzwischen an jeder zweiten Restauranttür ein grünes Tripadvisor-Schild hängt, hege ich ohnehin den Verdacht, dass entweder jeder, der schon einmal Schnitzel gebraten hat, mit einem solchen Exzellenz-Zertifikat bedacht wird oder dass man diese Bescheinigungen sehr gut selber basteln, wenn nicht gar irgendwo kaufen kann. Womit wir bei Amazon wären, denn da weiß man ja auch nie so genau, ob das Kundengutachten nicht doch gefakt, beauftragt und bezahlt ist. Da hilft es auch nicht, dass ich dort am Ende zusätzlich bewerten kann, wie ich die Bewertung fand – und sich die Katze dann ja auch irgendwie in den Schwanz beißt.
Bei Airbnb wiederum wird die Verlässlichkeit und Objektivität des Urteils durch die perfide Personalisierung und Privatisierung der Beziehung zwischen Mieter und Vermieter erheblich eingeschränkt. Dabei ist die ursprüngliche Airbnb-Idee des Homesharings inzwischen ja weitgehend tot. Nur in den seltensten Fällen sind es noch echte Privatwohnungen, in denen man unterkommt (und selbst die sind schon lange nicht mehr zum Schnapper-Preis zu haben). Obwohl hier entsprechend langsam auch mal eine professionelle Evaluation angebracht wäre, traut sich nicht nur aufgrund des grundlosen gegenseitigen Duzens kaum jemand zu schreiben, wie dreckig, klein, laut, billig eingerichtet und schlecht gelegen das Urlaubsapartment in Wirklichkeit war. Schließlich wird man auch selbst bewertet und will sich keine Retourkutsche einhandeln. So werden Negativurteile von vornherein abgewehrt und ausgehebelt, und es regnet Sterne, die sich auch mit aller Medienkompetenz der Welt nicht deuten lassen.
Das Retourkutschenproblem gab es früher auch mal bei eBay. Dort ist es inzwischen gelöst: Man kann einfach keine Negativbewertung mehr abgeben. Nur „positiv und neutral“ stehen dem gemeinen Nutzer als Votum zur Verfügung. Indem aber Kritik solchermaßen offen unterdrückt wird, ist letztlich auch die ganze Demokratie des Bewertungssystems ad absurdum geführt. Das Volk darf nur mehr die dünnen Fähnchen der Begeisterung schwenken. Um die negativ auffällig Gewordenen kümmert sich die Stasi das System selbst.
Das Volk braucht offensichtlich Führung. Und es braucht sie dringender denn je. Es braucht professionelle Reise- und Restaurantführer, berufsmäßige Buchkritik, die Stiftung Warentest, professionellen Background, Erfahrung, Kompetenzen und nachweisbare Qualifikationen, kurz Personen vom Fach, die Billy-Regale nicht mit Designermöbeln verwechseln und es verhindern, dass abgewohnte Hinterhof-Buden, die es niemals auch nur in den TUI-Katalog geschafft hätten, mit Fünf-Sterne-Deluxe-Prahlerei den Verbraucher in die Irre führen.
Damit wäre der Fall nun gelöst. Zu guter Letzt aber trotzdem noch eine Frage: Auf einer Skala von eins bis fünf – waren diese Ausführungen hilfreich für Sie? Das dachte ich mir.
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Wesentlich ist die Anzahl der Bewertungen. Mit diesem Wissen gibts weniger Enttäuschungen.
… sehr gefallen hat mir der Satz mit der Steinigung.
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Herrlich! Mit Airbnb habe ich bislang keine eigenen Erfahrungen und irgendwie habe ich jetzt auch nicht das Bedürfnis, daran kurzfristig etwas zu ändern. Schimmel sehe ich beruflich genug, da brauche ich ihn nicht noch im Urlaub.
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