Sundays against Elektroschrott

Ich wohne am Rhein, und wenn hier ein langer, heißer Sommer das Flussbett austrocknet, dann kommen auf dem schlickigen, steinigen Grund plötzlich die seltsamsten Dinge zum Vorschein: Neben Weltkriegsbomben werden auch viele Fahrräder und manchmal sogar ganze Autos zutage gefördert. Wird man an einem lauen Abend bei einem Spaziergang am Ufer mal wieder eines aus dem Wasser ragenden Lenkers oder eines ganzen Fahrradgerippes ansichtig, fragt man sich natürlich unwillkürlich, wie es wohl dahin gekommen ist, von wem es einst in den Fluten versenkt wurde und warum dies geschah.

Wenn klandestine Müllentsorgung die Ursache war, dann steht zu befürchten, dass in den langen, heißen, dürren Sommern der Zukunft ein anderes illegal stillgelegtes Fahrzeug die hiesige, ohnehin schon viel befahrene Wasserstraße dominieren wird: der E-Roller. Wie eine Pest ist er in diesem Sommer über unsere Stadt gekommen und verbreitet sich hier nun schneller als die schlimmste, ekelerregendste Krankheit. Überall im Stadtgebiet sieht man grün-weiße Roller herumstehen, die darauf warten, Hipster mit Bart und Hütchen vom Motel One zum Starbucks zu befördern, und zwar so, dass die faulen Brüder nicht ins Schwitzen geraten. Denn Letzteres ist ja – jenseits der Profitgier der Hersteller und Anbieter – der einzige halbwegs einleuchtende Grund, aus dem der elektrobetriebene Untersatz ohne Überbau erfunden worden sein könnte.

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Tretroller, Fahrrad, Auto: Evolutionsgeschichtlich befindet sich der Roller auf der niedrigsten Stufe menschlicher Mobilität. (Im Hintergrund: ein Kran!)

Ein weiterer Vorteil, den das rollende Brettchen gegenüber dem (in dieser Stadt ebenfalls prominent vertretenen) Leihfahrrad besäße, ist jedenfalls nach den Prinzipien der Vernunft nicht zu erkennen. In Medien jedweder Coleur und Orientierung liest man entsprechend, dass es mit dem angekündigten umwelt- und verkehrspolitischen Segen der E-Scooter nicht allzu weit her ist. Ja, die tolle Neuheit für den Straßenverkehr ist so rasant schnell nach ihrem Eintreffen in der Realität schon derart schlimm in Verruf geraten, dass man sich fragen muss, ob sich hier im Vorfeld überhaupt irgendwer irgendwelche Gedanken gemacht hat.

Dass der zu weiten Teilen aus Plastik bestehende Roller mit dem umweltschädlichen Akku ausgerechnet vor allem dem Fahrrad – ob geliehen oder in eigenem Besitz befindlich – Konkurrenz macht, scheint mir dabei eine der größeren Ironien zu sein. Dass der Tretroller-Trend vor allem ganz neuen und ganz und gar überflüssigen Spaßverkehr auslöst, statt uns vor den CO2-Emissionen der – mir bis dato völlig unbekannten und somit auch völlig unverdächtig erscheinenden – „letzten Meile“ zu bewahren, eine weitere. Denn es sind ja überwiegend nicht Maurer auf dem Weg zur Baustelle, Angestellte auf dem Weg zu einem weiteren langweiligen Tag im Büro oder Manager auf dem Weg vom Bahnhof zum Geschäftstermin in einer fremden Stadt, die man mit wackeligen Beinen auf den dusseligen  Dingern balancieren sieht, sondern vor allem junge Leute in Freizeitbekleidung. Das wundert allerdings nicht, denn eine Tauglichkeit für den Arbeits- oder Reiseweg ist beim Bauprinzip Roller ja per se nur eingeschränkt gegeben: Eine Taschenmitnahme jedenfalls ist (jenseits von Rucksäcken) ausgeschlossen bzw. lebensgefährlich. (Aber auch Fahrten ohne Koffer erhöhen nur unnnötig das allgemeine Unfallrisiko.)

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Die einzige Variante, in der das Gefährt sympathisch ist.

Was  allerdings enorm wundert, ist, dass zumindest eine Person das motorisierte Kinderspielzeug für eine umwelt- und verkehrspolitische Wunderwaffe gehalten haben muss. Ich meine, ich weiß nicht, wer die Einführung des neuen Fahrzeugtyps federführend verantwortet hat, aber ich finde, man muss nicht allzu clever sein, um die Defizite zu erkennen. Deshalb und weil es von den ersten Meldungen hinsichtlich der generellen Existenz von „Elektrorollern“ in diesem Frühjahr bis zu deren tatsächlichen Auftauchen im Juni so (untypisch deutsch) schnell ging, kommt es mir vor, als habe man der Gesellschaft diese umweltpolitischen Tret-Minen klammheimlich untergeschoben, ohne vorher zu fragen oder gar diskutieren zu wollen, ob sie sie auch haben will – und verkraften kann.

Denn von dem Schlimmsten haben wir bisher ja noch gar nicht gesprochen, und das ist die geradezu obszön kurze Lebensdauer der Miet-Mobile. Denn die Rent-Roller halten – man kann es kaum glauben – nur rund drei Monate! Ganze 90 Tage, dann verwandeln sich die überwiegend in China produzierten Scooter in Elektroschrott! Wir müssen wieder einmal rechnen: In meiner Stadt sind die ersten Anbieter im Juni mit rund 250 Geräten gestartet. Damit sind inzwischen auch schon die ersten 250 E-Leichen produziert, Ende des Jahres erhöhen wir dann auf 500 kaputte Teile. Aber das Soll-Ziel ist damit noch längst nicht erreicht: Die Roller-Abdeckung im Stadtgebiet soll laut Lokalzeitung irgendwann im „oberen dreistelligen Bereich“ liegen. Wenn das klappt, produzieren wir allein in dieser Stadt bald 3000 und mehr defekte Roller im Jahr!

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Das Beste ist auf dem Bild wieder einmal nicht zu sehen: Diese Exemplare stehen vor einem Altenheim.

Ich bin alt. Ich bringe meine kaputten Schuhe manchmal zu einem echten Schuster, der noch älter ist als ich. Er ist ähnlich alt wie meine Mutter, die in kargen Kriegs- und Nachkriegszeiten groß geworden ist und heute geradezu zum Vorbild taugt in Sachen Nachhaltigkeit. Aus alten Frotteebademänteln näht sie Handtücher, andere ausrangierte Kleidungsstücke werden zunächst bei der Arbeit im Selbstversorgergarten getragen, bevor sie dann ihr langes Leben als Putzlappen aushauchen. (In diesem Sommer habe ich bei einem Besuch zu Hause mein Auto tatsächlich mit einem meiner Lieblings-T-Shirts aus den 90ern gewaschen.) Vom Speiseeisbehälter bis zur Senfglas hebt meine Mutter alles auf, was man noch einmal sinnvoll verwenden kann, und in ihrem Haushalt gibt es ein paar tadellos funktionierende Elektrogeräte, die noch aus den Fünfzigerjahren stammen.

Das muss man wissen, um die Verstörung zu verstehen, die auch ich empfinde, wenn ich solche Sachen wie die von den E-Rollern lese. Denn zwar habe auch ich mich in den letzten Jahrzehnten widerwillig an die immer kürzer werdenden Lebenszyklen von Elektrogeräten gewöhnt, und in diesem Zuge auch irgendwann begriffen, dass Reparieren nichts mehr ist, was irgendjemand außer mir und zwei drei weiteren Ewiggestrigen noch für erstrebenswert hält. Aber drei Monate? Das ist pervers.

Nichtsdestotrotz scheint alles, was noch zwei gesunde junge Füße hat, derzeit unbedingt auf dem neuen Spielgerät stehen und durch die Stadt rollern zu wollen, während in dieser Alterskohorte gleichzeitig gerade so massiv für das Klima demonstriert wird. Angesichts dieses Paradoxons bin ich als böse alte Frau natürlich stark versucht, mit einem anklagenden Finger auf die jungen Leute zu zeigen und hypokritisches Verhalten zu konstatieren. Dass ich trotzdem Nachsicht und Verständnis walten lasse, liegt daran, dass ich große Sympathie für die streikenden Schüler hege und große Hoffnungen in die Bewegung setze (auch wenn ich manchmal glaube, dass das ganze FFF-Ding ganz unabhängig vom Thema auch einfach nur dem Bedürfnis der Jugend nach Rebellion entgegenkommt). Sicher werden sie auch in Bezug auf den fahrbaren Elektromüll bald zur Vernunft kommen. Falls nicht: Kann die kleine schwedische Heilsbringerin hier bitte bald mal ein klares Statement abgeben? Sonst wird man mich in meiner Verzweiflung wohl bald selbst des Nachts auf der Brücke stehen und die vermaledeiten Vehikel übers Geländer wuppen sehen.

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