Der Norden vergisst nicht: Ein Rundgang auf den Feldern der Wahlschlacht

Zu den medial am meisten vernachlässigten politischen Ereignissen in unserem Land gehört die Kommunalwahl. Das ist mehr als bedauerlich, schließlich ist es doch diese Stimmabgabe, bei der der Bürger am meisten der Aufklärung, Erhellung und Hintergrundanalyse bedarf. Denn sobald die Qual der Wahl beginnt, der öffentliche Raum also flächendeckend plakatiert ist, wünscht sich der Ahnungslose nichts mehr als Orientierung angesichts der Legionen unbekannter Gesichter, die von Laternenmasten lächeln und um Gunst und Stimme buhlen. Die meisten all dieser Nachbarn, Mitbürger und Volksvertreter sieht der kommunal Wahlberechtigte dort droben zum allerersten Mal. Und doch muss er sich auf dieser Basis entscheiden: Wem von all diesen Fremden soll er sein Vertrauen und einen Platz im Lokalparlament schenken?

Als Bürgerin von Nordrhein-Westfalen muss ich diese Frage am nächsten Sonntag beantworten. Ich könnte es schon an diesem, denn ich habe die Konterfei-Parade in den letzten Wochen gründlich auf mich wirken lassen und meine Wahl dann eigentlich recht mühelos getroffen. Ich sage es gleich vorweg, der amtierende Oberbürgermeister ist es nicht, der mein wählerisches Herz erobert hat. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Argumente, die das Wahlplakat liefert, haben mich nicht überzeugt.

Dass dieser Herr im feinen Zwirn der Bürgermeister von Bonn ist, wusste ich schon. Gerätselt habe ich darüber, aus wessen Perspektive dieses „unser“ formuliert ist. Aus der Sicht derjenigen, die uns das Plakat hingestellt haben? Glasklar ist dagegen: So manspreadingmäßig wie Ashok Sridharan da sitzt, dürfte er in Madrid nicht mit dem Bus fahren. (Auch hier in der Straßenbahn will man als Frau deshalb vielleicht lieber nicht neben ihm sitzen). Nichtsdestotrotz scheint das Sitzen respektive die Besitzstandswahrung sein Hauptanliegen und -argument zu sein. Zumindest ist es die einzige Botschaft des Bildes. Details und Ziele? Die schwurbeln irgendwo im Internet.

Da benennt „Die Partei“ ihre Themen schon deutlich konkreter:

Um die Bäder gibt es in der Tat in der Stadt einige Kontroversen, und so kämpft auch „Die Linke“ auf diesem Wahlschlachtfeld. Das gefällt mir als Hallen- und Freibadgängerin subventionierter alter Schule prinzipiell, aber der drohende Ton macht mir doch ein wenig Angst:

Überhaupt tritt die Linke qua Plakat recht energisch auf, auch wenn bei der Planung der Kampagne nicht immer auf die nötige Kongruenz von sprachlicher und optischer Botschaft geachtet wurde.

Ich weiß nicht, aber Dr. Michael Bean Faber sieht so brav aus, dass ich ihn mir nicht so richtig als strahlenden Helden im Kampf gegen gemeine, widerwärtige Immobilienhaie vorstellen kann. Nichtsdestotrotz liegt er in einer Stadt mit schlimmen Bauskandalen thematisch natürlich völlig richtig.

Ein Thema, dass nicht nur in Bonn, sondern vermutlich auch in vielen anderen Klein- und Großstädten die Gemüter erhitzt und die Menschheit spaltet, ist der Verkehr respektive die Frage, womit man in Zukunft besser fährt. Allerdings zeigen sich die mit der Politwerbung beauftragten Agenturen hier erstaunlich phantasielos: Die Grünen kommen zwar übergroß, aber wenig überraschend mit dem Rad:

Der Bürgerbund fährt (aus welchem geheimen Grund auch immer) Bulli:

Und der Spitzenmann der FDP steht am Bahnhof und wartet auf den Zug.

Ein weiterer Kandidat der Freien Demokraten mag’s dagegen nicht so mobil und möchte nach der Wahl lieber daheim auf dem Sofa bleiben, als das neue Amt aktiv vor Ort wahrzunehmen. So viel Faulheit und Lethargie möchte ich nicht unterstützen. Weil Bonn.

Wenig ansprechend fand ich auch die plumpe Anmache zweier anderer Kandidaten:

Auch wenn Friederike und Dominik hier so vertraulich tun, ich kenne die beiden überhaupt nicht. Selbst von ihrer Partei habe ich noch nie gehört. Im Sinne einer minimalen Höflichkeit und ordentlichen Vorstellung wäre es daher das Mindeste gewesen, dass uns die beiden Newcomer auch ihren Nachnamen verraten hätten. (Alt genug, um einen zu besitzen, sind sie jedenfalls.) Gleichwohl scheint auch eine weitere Bürgermeisteramtsaspirantin nur mit ihrem Vornamen punkten zu wollen.

Bei genauerem Hinsehen stellt sich dann aber heraus, dass es genau umgekehrt ist, dass es hier gerade der Vorname ist, der zum Zweck der griffigen Parole unter den Tisch fallen muss. Allerdings ist auch diese Parteikollegin des Oberbürgermeisters nicht bereit, uns Genaueres über ihre (hoffentlich ehrbaren) Absichten zu verraten. Doch wir haben in Bonn nicht nur die Bonnie, wir haben ja auch noch die Lissi.

Warum die Bonnie aber Rot und die Lissi Schwarz trägt, das muss ein ewiges Rätsel bleiben.

Nun schummelt vermutlich auch die Lissi namensmäßig ein bisschen. Denn was in ihrem Fall als Vorname im Personalausweis steht, klingt vermutlich etwas mehr adelig und damit etwas weniger bürgernah. Aber ansonsten wirkt die Lissi so positiv, patent und zupackend, dass sie mir in den letzten Wochen vom Plakat aus richtig ans Herz gewachsen ist (auch wenn ihre Partei eigentlich nicht die meine ist).

Ich schaue zu ihr hoch und sehe: Keinen Vorwurf, keinen Zorn, keine Angeberei, sage und schreibe zwölf Versprechen auf einem Bild sowie die Verheißung, dass außer dem Ego auch das Herz dabei ist. So überzeugt man beim Wahlkampf-Tinder! Lissi, ich denke, wir zwei haben nächsten Sonntag ein Date!

PS: Gerne (?) hätte ich hier auch ein Wahlplakat der AFD gezeigt, aber entlang all der Wege, auf denen ich mich im Alltag in dieser Stadt bewege, habe ich tatsächlich kein einziges gesehen. Ich las aber in der Lokalzeitung, dass Wahlhelfer bei dem Versuch, in meiner Nachbarschaft welche zu kleben, von Unbekannten angegriffen und mit Pfefferspray vertrieben worden seien.

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