Wenn in knapp zwei Wochen, am 26. September, der Deutsche Bundestag gewählt wird, feiere ich ein kleines Jubiläum: Es ist das zehnte Mal, dass ich zu dieser Wahl antrete. Ich weiß nicht mehr, wen ich 1987, als ich zum ersten Mal meine Stimme abgeben durfte, gewählt habe. Aber ich bin sicher, dass ich damals nicht lange überlegen musste. Denn damals war die Welt ja noch Schwarz-Weiß, und ich konnte die Fronten klar erkennen. So einfach ist es im Alter leider nicht mehr.
Wo immer aber mit den Jahren das Vermögen schwindet, kennt der Mensch ein Hilfsmittel, und neben Brille, Hörgerät und Rollator gibt es auch den Wahl-O-Mat. Die internetbasierte Wahlentscheidungshilfe der Bundeszentrale für politische Bildung konsultiere ich eigentlich schon seit ich Internet habe. Früher geschah dies eher aus Spielerei, in diesem Jahr aber hätte ich mir tatsächlich ein bisschen Hilfe erhofft. Aber entweder ist die Maschine inzwischen zu leistungsfähig geworden und ihre Auswertung zu differenziert, oder die großen Parteien sind sich inzwischen bei allen zentralen Themen und wichtigen Fragen so einig, dass sich mit gröberen Rastern gar keine Unterschiede mehr erheben lassen. In jedem Fall hat der Wahl-O-Mat dieses Jahr ergeben, dass ich eigentlich alles wählen kann. Denn ob CDU, SPD, Grüne, Linke, Piraten oder FDP, es gab nirgendwo einen klaren Ausschlag, sondern überall wenig aussagekräftige Deckungswerte zwischen 55 oder 65 Prozent. Zudem hatte ich zahlreiche Matches in ähnlicher Höhe mit manchen dieser schrägen Kleinstparteien, was meine Unzufriedenheit mit dem Wahl-O-Meter weiter steigen ließ.

Daher habe ich mich nun anderweitig um Orientierung bemüht und einfach die Wahlplakate befragt, die ja alle Parteien wieder so reichhaltig in meiner Nachbarschaft hinterlassen haben. Auch dabei entstand zunächst der Eindruck einer gewissen Ununterscheidbarkeit. Schließlich sind die Themen überall dieselben: Wirtschaft und Verkehr, Bildung und Digitalisierung, Mieten und Löhne, Klima und Kinder und Armut und soziale Gerechtigkeit. Es ist allerdings ein bisschen so wie bei diesen „Immer-einmal-mehr-wie-du“-Tassen.





Wer sich der Überzeugungskraft dieses „Höher, schneller, weiter“ bereits hingeben mag, der wählt dieses Jahr die Linke. Für alle anderen betrachten wir auch noch die weiteren Aussageebenen, die so ein Wahlplakat in der Regel besitzt, nämlich Foto, Slogan und Kandidat. Und siehe da, auf diesem Weg lassen sich schon subtilere Erkenntnisse gewinnen. Beginnen wir zum Beispiel mit den Siegern in der Kategorie „Die Macht der Bilder“, also mit der FDP.

Ach, der arme Christian, fast dauert er einen, wie er da im Lichte einer trüben Funzel so spät in der Nacht noch über den Akten sitzen muss. Und wie eine gute Mutter möchte man ihm zurufen: „Junge, pass auf, du verdirbst dir noch die Augen!“ Doch sobald das Mitleid abebbt, sind plötzlich diese bösen, niederträchtigen Gedanken wieder da, und angesichts von Kulis, Aktenordnern und Hängeregistern fragt sich selbst der etwas ältere Mensch, ob man mit dieser Partei im digitalen Zeitalter wirklich gut aufgestellt ist. Doch die FDP setzt in ihrer Kampagne konsequent auf Nostalgie.

Eine versteckte und möglicherweise ebenfalls kontraproduktive Botschaft transportiert auch das Plakat der Grünen: Angesichts der vielen Skandale wollte man am Ende im Wahlkampf wohl doch nicht allein auf die Kraft der Kandidatin Baerbock vertrauen und selbige solo zeigen, sondern hat ihr sicherheitshalber schnell noch einen Mann und Sympathieträger an die Seite gestellt.

Besser noch als das Bild gefällt mir bei den Grünen aber der Slogan: „Bereit, weil ihr es seid.“ Welche Logik in dieser Aussage steckt, offenbart am besten die Kommutationsprobe, die der Gymnasiast noch aus dem Deutschunterricht kennt. Um zu überprüfen, ob die hier behauptete Möglichkeit der Übertragung von Eigenschaften einer Person auf eine andere im Rahmen der herrschenden Naturgesetze überhaupt funktioniert, kommutieren wir daher einmal: Schön, weil ihr es seid? Reich, weil … Nein, klappt nicht!
Aber auch die SPD hat dieses Jahr wieder viel Geld für Allgemeinplätze und verbale Nullnummern ausgegeben und bei der Abnahme der Werbetexte sogar Stammeleien wie „Respekt für dich“ durchgewunken.

„Respekt für dich“: Diesen Satz höre ich förmlich jedes Mal, wenn ich ihn sehe (gesprochen im Ghetto-Slang), und frage mich verwirrt: Wird damit nun für Olaf Scholz geworben, oder richtet der Kandidat hier selbst das Wort an uns. Falls Letzteres: Welche Segnungen im Rahmen einer künftigen Kanzlerschaft verheißt er uns damit, bzw. ist unaufgefordertes Duzen von Fremden nicht gerade ein Zeichen dafür, dass kein Respekt waltet?
Der sozialdemokratische Nachwuchs hat mehr Feuer, aber auch keine sinnvolleren Texte. Das kann ich als Bonnerin durchaus beurteilen.

Dennoch ist in der alten Hauptstadt einiges möglich. Wir haben zum Beispiel einen eigenen CDU-Kanzlerkandaten. Er heißt Christoph Jansen.

Dieser junge Mann war in jedem Fall wochenlang das einzige Gesicht, das die Christdemokraten in Bonn im Wahlkampf hatten: Weit und breit kein Armin Laschet an der Laterne. Stattdessen überall nur Janssen und großformatige Themenplakate.

Entweder ist Laschets Starschnitt nicht rechtzeitig fertig geworden, oder dies war Teil einer besonders ausgeklügelten Strategie. Wie dem auch sei, seit ein paar Tagen strahlen nun auch Armins Apfelbäckchen großformatig von den Stellwänden, und die Aufholjagd hat begonnen.

Damit wären nun alle Kandidaten und Parteien versammelt, die gemäßigtere Kreise für eine Stimmabgabe am 26. September in Betracht ziehen. Nichtsdestotrotz bin ich noch immer unentschlossen. Denn nachdem der Wahl-O-Mat alle Parteien ins potenzielle Portfolio gepackt hatte, mag man nach diesem kleinen Posterrundrang eigentlich bei niemandem mehr sein Kreuzchen machen. Und nun? Wären dies hier vielleicht Alternativen?



müsste es nicht einfach heissen: bereit, wenn ihr es seid.? dann fragt sich der wähler nämlich: bin ich bereit. ja! ok. dann wähl ich grün. grüsse vom dampfer aufm weg nach santorini. 😘
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Das stimmt. Dann wäre es logisch. Bine, du bist viel schlauer als die Grünen!
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