Die Zeit rast. In knapp einer Woche ist schon Heiligabend, und in deutschen Wohnzimmern, so will es das Klischee, glänzen wieder überall Kinderaugen unter festlich geschmückten Weihnachtsbäumen. Unseren eigenen Baum haben wir gestern gekauft, und dann, ich gebe es zu, auch gleich geschmückt. Angesichts der Tatsache, dass es keinen Nachwuchs im Haushalt gibt, halte ich diese etwas verfrühte Inbetriebnahme für vertretbar. Im Nachbarhaus im Hochparterre glitzerte allerdings schon am 4. Dezember eine voll lamettierte Nordmanntanne durchs Fenster der auch sonst üppig mit jahreszeitlicher Zusatzbeleuchtung versehenen Stube. Ich nahm dies zum Anlass, einmal mehr zu beweinen, dass das liebe Christfest wie viele anderen Feste immer mehr zu einem reinen Deko-Anlass verkommt. (Nur das kommerzielle Potenzial von Pfingsten hat bis heute noch niemand entdeckt.) Doch Lamentieren hilft ja nie. Ich begegne der Misere daher lieber mit dem vielleicht schönsten Motiv dieses Adventskalenders: dem Anti-Christbaum.

du kannst mir sehr gefallen;
wie oft hat nicht zur Weihnachtszeit
ein Baum von dir mich hoch erfreut."
An einer Bonner Ausfallstraße in Richtung Voreifel bringt diese Buche ihre böse Botschaft unters fahrende Volk, und als ich sie im Mai das erste Mal erblickte, zog mich das Rätsel sofort in seinen Bann. Wer hatte hier den Pinsel geführt? Krankes Hirn oder Spaßvogel? Und an wen war diese ebenso rohe wie unmissverständliche Anstiftung zum Mord gerichtet: an mich oder an den Baum? Wenn Letzteres: Was war dann man mit „mein Freund, der Baum“? Und wie sollte ein Mensch nun jemals wieder arglos Bäume umarmen? Auch der Begriff „Waldsterben“ erschien plötzlich in ganz neuem Licht? Dies alles waren Glieder in der Assoziationskette, die der Anblick dieses bedrohlichen Grafittos unmittelbar in Gang setzte. Bis heute fragt sich die langjährige True-Crime-Rezipientin in mir, ob aufgrund dessen irgendwo vielleicht jemand just in diesem Moment, ohne es zu wissen, in Lebensgefahr schwebt oder ob sich vielleicht tatsächlich schon irgendwo ein Verbrechen ereignet hat, das mit dieser mysteriösen Aufforderung in Verbindung steht. Daher kann ich heute nicht anders, als mit dem bekannten Appell meiner Lieblings-TV-Sendung zu enden: Wer sachdienliche Hinweise machen kann, die zur Ergreifung des Täters oder zur Aufklärung dieses Rätsels führen, wendet sich bitte an die zuständige Forstaufsichtsbehörde oder eines unserer Aufnahmestudios.
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