My little Corona Diary, Band 2, Tag 174

Mittwoch, 28. April 2021

Nach 170 Tagen Lockdown-Monotonie ist das doch endlich mal was Neues: Ausgangssperre. Seit dem Wochenende können damit ganz neue Dimensionen der Tristesse ausgelotet werden. Es ist nun nicht so, dass ich derzeit abends noch großartig Programm hätte. An mindestens neun von zehn Abenden würde ich von einer Ausgangssperre rein gar nichts merken. Just am Samstag aber war ich – helles Licht in finsterer Zeit – bei der einzigen Freundin eingeladen, zu der ich während der ganzen Corona-Misere den Kontakt noch in persona gehalten habe. Weil ich nicht wollte, dass sich die Bundeskanzlerin doch noch zwischen uns stellt, habe ich am Wochenende zum ersten Mal in meinem Leben einen kleinen Spaziergang vor Mitternacht gemacht. Und wie ich da so um Unauffälligkeit bemüht durch die dunklen, verlassen daliegenden Straßen der Altstadt huschte, meine Begleitung aus lauter Angst vor einer Kontrolle durch fünfzig Meter Abstand und eine andere Straßenseite verleugnend, kam ich mir ein bisschen so vor, wie in meiner durch keinerlei Erfahrung geprägten, kindernaiven Vorstellung von einem Unrechtsregime, in dem auch rechtschaffende Bürger nichts mehr fürchten als den Staat und seine Organe. So viel Aufregung und Spionagefilm ist nichts für eine alte Frau wie mich. Deshalb werde ich in Zukunft auch den zehnten Abend brav im häuslichen Arrest bleiben und warten, bis meine bürgerlichen Freiheitsrechte wieder in Kraft gesetzt werden. (Ich glaube allerdings fest daran, dass das passieren wird.) Bis es so weit ist, lote ich aus. Ziel meiner diesbezüglichen Bemühungen ist das Televisionsangebot der öffentlich-rechtlichen Sender. Denn wenn die Welt auf die eigenen vier Wände zusammengeschrumpft ist, bleibt einem ja nur noch dieses Fenster, wenn man einmal etwas anderes sehen möchte. Nachdem ich in den vergangenen Monaten die Mediatheken von ARD, ZDF und Arte im Dokumentations- und im Krimi(-Serien)-Bereich schon komplett leer geschaut habe, verschiebe ich nun mutig die Grenzen des Betrachtbaren und stoße vor auf neues, bisher tabuisiertes Terrain. Stichwort: Wohlfühlfilme. „Toni, männlich, Hebamme“, „Zimmer mit Stall“, „Ella Schön“ und aktuell gerade „Kudamm 56“ (erstaunlicherweise gar nicht so schlecht) heißen die Notnägel, zu denen man früher oder später greifen muss, wenn man amerikanische Streaming-Dienste aus ethischen Gründen ablehnt. Nun hoffe und bete ich nur, dass Corona vorbei ist, bevor nichts anderes mehr übrig ist als „In aller Freundschaft“.  

PS: Gestern Abend habe ich der Abwechslung halber am späteren Abend einmal ein echtes Fenster geöffnet und ca. zehn Minuten hinaus in die Nacht geschaut. Es war gespenstisch. In der ganzen Zeit fuhren auf der sonst recht belebten Hauptstraße, die in Sichtweite liegt, nur drei Autos vorbei (zwei davon Taxis), und außer zwei Betrunkenen mit Hunden, die nicht auf dem Weg unter die Brücke waren, sondern erstaunlicherweise einen Schlüssel für das Nachbarhaus besaßen, erblickte ich keine Menschenseele. Wenn ich bedenke, was sonst da unten so alles los ist, kann ich nur sagen: Die Sache mit der Ausgangssperre klappt. Ob sie auch etwas nützt, habe ich noch nicht herausgefunden.

Die Blockwart-Kamera konnte gestern diesen Verstoß gegen die Ausgangssperre aufzeichnen.

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