Adventskalender

Inzwischen sind wir bei unserer vorweihnachtlichen Aufräumaktion bis in die kleinsten Ecken vorgedrungen: Winzige Abtönungspartikel und leicht zu übersehende Gedankenstriche wurden aufgespürt und entsorgt. Doch es gibt noch eine weitere kleine sprachliche Einheit, um die wir uns kümmern müssen, wenn es bis Weihnachten mit dem Seelenfrieden wirklich etwas werden soll. Der heutige Dorn in meinem dritten Auge sind Abkürzungen.

Nun könnte man meinen, zu diesem Thema gäbe es nicht mehr viel zu sagen, nachdem uns die „Fantastischen 4“ mit ihrem Song „MFG“ bereits 1999 ausführlich vom „Drama einer Kultur“ berichtet haben. Aber inzwischen sind fast 25 Jahre vergangen (OMG!), und natürlich hat sich in der Zwischenzeit doch einiges getan. Während sich in dem Fanta-4-Lied noch fast alle Abkürzungen zu deutschen Begriffen auflösen ließen, sind die relevanten Akronyme der Jetztzeit fast ausnahmslos englischer Provenienz, und es gibt keine deutschen Entsprechungen oder Übersetzungsversuche mehr.

OMG, MILF oder AFK: Wenn man nicht weiß, wofür die Langform steht, hilft auch alles Raten nicht. Auch deshalb bereitet der Gebrauch der Abkürzungen dem kleinen oder exklusiven Kreis der ersten Sprecher durchaus ein gewisses Vergnügen. Es ist ein bisschen so, wie wenn Kinder in der Schule Englisch lernen und dann zu Hause ab und zu ein paar englische Vokabeln fallen lassen, um mit dem neu erworbenen Wissen auch ein wenig anzugeben.

Dagegen ist gar nichts einzuwenden. Aber auch bei den Abbreviationen ist es wie bei all den anderen hier beschriebenen Modewörtern: Die Dosis macht das Gift, und je häufiger man sie hört, umso schlechter wird einem. Dabei wäre zum Beispiel OMG sonst eigentlich recht gut geeignet, auch die Mitglieder des Vereins Deutsche Sprache mit dem Slang der Jugend und des Internets zu versöhnen. Denn als älterer Mensch könnte man statt „oh my god“ ja zum Beispiel auch einfach „oh, mein Gott“ dabei denken oder womöglich sogar „oh du meine Güte“. Leider aber ist OMG aktuell ungefähr so ansteckend wie die Pest im Mittelalter, und weil man es auch unbedingt so affektiert und übertrieben aussprechen muss, strapaziert das Ganze, wiewohl so kurz, meine Nerven doch sehr.

AFK („away from keyboard“) ist, wenn ich es richtig verstanden habe, ein Synonym für Biopause, einen Begriff, zu dem hier bereits alles gesagt wurde. Zu MILF wiederum äußern sich Damen meines Alters prinzipiell nicht. Und so bleiben nurmehr zwei Abkürzungen, gegen die ich gewisse Einwände habe und über die ich auch angesichts ihrer gewissen gesellschaftlichen Sprengkraft hier noch sprechen möchte. Die erste ist LGTBQ.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich kann mir die Reihenfolge der einzelnen Buchstaben dieses Akronyms einfach nicht richtig merken. Auch vor dem Schreiben des vorletzten Satzes habe ich daher sicherheitshalber noch mal schnell gegoogelt. Denn man riskiert ja sonst am Ende einen Shitstorm, wenn da irgendwas in der falschen Reihenfolge erscheint. Dabei ist es gar nicht der Umstand, dass einem diese Abkürzung einfach nicht flüssig über die Lippen gehen will, der mich stört. Es ist eher die Tatsache, dass mit diesen Universalbegriff so vieles über einen Kamm geschoren wird, was vielleicht gar nicht dieselbe Frisur hat. Die Individualistin in mir will gar nicht überlegen, was bei diesem Sammelbegriff eigentlich der kleinste gemeinsame Nenner wäre. Ferner möchte ich auch ernsthaft zu bedenken geben, was mein Freund Alexander, ein alter weiser Mann, betreffs LBTGQ immer zu sagen pflegt: „Kein Mensch ist eine Abkürzung.“

Doch bevor wir uns jetzt hier ernsthaft echauffieren, möchte ich noch eine andere brisante Abkürzung ins Spiel bringen. Diese ist zwar nicht neu, aber ich kannte sie bis dato noch nicht und bin unlängst ausgerechnet im Entwurf zu einem Schulbuch darüber gestolpert: „v. u. Z.“. Dies steht für „vor unserer Zeitrechnung“ und ist als Alternative zu „v. Chr.“ gedacht. In dieser Schreibweise würde man die Lebensdaten Aristoteles‘ etwa so notieren: 384 – 322 v. u. Z.

Oje, wenn sich das durchsetzt, wird das christliche Abendland toben! Ein berechtigter logischer Einwand gegen diese alternative Notation wäre allerdings, dass sich der Bezugspunkt der Zeitrechnung damit ja nicht ändert. Dieser bleibt auch in der neuen verschleierten Form das (fiktive) Geburtsdatum Christi. Auf Anhieb verstehe ich daher nicht, wozu das gut sein sollte, und ich weiß auch nicht, ob ein Denkfehler die beste Grundlage für einen so gravierenden Schritt wäre. Was mich darüber hinaus ganz persönlich noch interessieren würde, ist: Wer wäre, gesetzt den Fall, dann eigentlich das „uns“?

Damit lasse ich es nun aber bewenden, denn ich möchte vor Weihnachten, mithin also vor dem Beginn unserer Zeitrechnung, ja vor allem Frieden finden. Daher öffne ich nun das Türchen und stelle ein kleines Säckchen als Wegzehrung für die alten weißen Männer auf die Straße.

Alte weiße Männer und genderfluide Wesen friedlich vereint: Dies ist der Beginn einer neuen Zeitrechnung!

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