Pilots of the airways: Here is my request!

Heute müssen wir mal von Liebe sprechen. Von echter, wahrer Liebe, die unaufgeregt ist, aber unverbrüchlich, die bislang alles überdauert und vieles verziehen hat, die nicht personengebunden ist (und manchmal eben doch) und deren Größe mir erst jetzt gerade, wo ich darüber schreibe und Gedanken dazu zusammentrage, in ihrem ganzen Ausmaß bewusst wird. In Zahlen, in die man die Liebe ja nicht fassen soll, ist es so: In meiner Wohnung gibt es insgesamt sechs Radios (Bad, Schlafzimmer, Küche, Arbeitszimmer, Wohnzimmer und ein kleines Casio-Gerät für die Reise), und eines davon ist in den 16 Wachstunden, die mein Tag umfasst, fast immer an. Ich habe schon dreimal in meinem Leben länger als ein Jahr irgendwo gearbeitet, wo ich es ohne ein Radio nicht eine einzige Woche ausgehalten hätte. (Eigentlich bin ich sicher, dass ich so ziemlich jede Arbeit machen könnte, wenn ich dabei Radio hören dürfte. Aber wo darf man das heute schon noch?)

In den mehr als 40 Jahren, die ich nun schon treu vor dem Transistor sitze, habe ich mich nur einmal von einem Sender scheiden lassen. Das war richtig so, und ich habe es nicht bereut, aber seither habe ich doch auch nie wieder geheiratet. Ich habe nun ständig wechselnde Partner bzw. lebe seit ein paar Jahren durchgehend polyamourös. Das heißt, ich höre immer noch (fast) den ganzen Tag Radio, ändere mit Raum und Zeit aber den Sender. Von „1 Live“ am Morgen im Bad bis „SWR1“ am Abend in der Küche reicht dabei das Spektrum, das aufgrund meines Wohnsitzes (und der eingesetzten Empfangstechnik) auf die Angebote von Südwestfunk und Westdeutschem Rundfunk begrenzt ist.

In der untergehenden Welt, in der ich lebe, spielt das Radio also immer noch eine große Rolle, aber so richtig glücklich bin ich schon lange nicht mehr mit ihm. Denn anders als früher gibt es heute keinen Sender mehr, bei dem ich rundum zu Hause wäre. Ob der Grund dafür bei mir oder in den Veränderungen in der Rundfunklandschaft zu finden ist, lässt sich nicht eindeutig sagen. Eine gewisse midlifecrisisinduzierte Mitschuld ist in jedem Fall nicht auszuschließen. Denn einerseits will ich nicht den ganzen Tag Oldies hören (WDR4 und SWR1) und mich in der Folge ebenso alt fühlen, gefangen in einer Zeitschleife, mit der Musik für immer im letzten Jahrhundert festgehalten. Andererseits hat es das Neue und Frische in der Musik (1 Live), das man sich wünscht, ja auch da besonders schwer, wo früher alles besser war. Dieser Widerspruch, der sich ab einem gewissen Alter unweigerlich einstellt, scheint mir unauflösbar. Für andere Sender (SWR3 und alle Privatradios) bin ich aber einfach nicht gut gelaunt genug.

Denn Verdruss und Verdrießlichkeit dringen ja mit dem Alter in immer neue Regionen vor, und das, womit viele Radiostationen heutzutage große Teile ihres Programms gestalten, ist für alte anspruchsvolle Menschen wie mich schlichtweg unerträglich. Dies beginnt bereits mit der Form, in der die Inhalte präsentiert werden. Eines der ersten Zeichen für die Krise, die sich zwischen mir und meiner ersten großen öffentlich-rechtlichen Dauerfunkverbindung anbahnte, war, dass man dort irgendwann in den 1990ern den dem schlechten Vorbild der neuen, privaten Konkurrenz folgte und ebenfalls damit anfing, die Wortbeiträge mit leise plätschernder Musik zu hinterlegen. Heute machen das fast alle, aber mich macht es immer noch kirre. Denn ähnlich wie das Rauschen bei unsauberem Empfang beeinträchtigt dieses Hintergrundgedudel und -geklimper meine Konzentration massiv. Und wenn man im Kampf gegen das schlimme, allgegenwärtige ADHS nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene als schützenswerte Individuen begreift, müsste es ein selbstverständliches Gebot kommunaler und bundespolitischer Gesundheitsvorsorge und Verantwortung sein, ein entsprechendes generelles Hintergrundmusikverbot im Rundfunkstaatsvertrag festzuschreiben.

Die Liste der Dinge, die meine Empfangsbereitschaft drastisch reduzieren, ist freilich noch länger. Viele davon lassen sich am Beispiel des hierzulande recht beliebten SWR3 gut erläutern. Denn wie kaum ein anderer von meinem Rundfunkbeitrag bezahlter Sender setzt dieser darauf, ausschließlich über sich selbst zu berichten. Zu diesem Zweck wird alle zwei Minuten eine Reise verlost, alle drei ein hauseigenes Comedy-Event im Sendegebiet angepriesen, alle vier Minuten geben die hauseigenen Comedians, die nebenberuflich das Programm moderieren, eine Kostprobe ihres großen oder kleineren Könnens, und alle fünf Minuten rufen Hörer an, die in schwäbischer oder pfälzischer Mundart von der Schönheit der gewonnenen Reise schwärmen oder das gestrige aushäusige Comedy-Event des Senders loben. Dazwischen bimmelt und jingelt es auch viel, laut und bunt.

All diese Dinge lassen prinzipiell auch auf anderen Stationen das Leben vor dem Lausprecher immer mehr zur Pein werden und verunmöglichen natürlich auch eine dauerhafte, monogame Bindung. Denn was sollen die ganzen dusseligen Verlosungen und Gewinnspiele, wo doch seit „Radio Gaga“ jeder weiß, dass man wahre Liebe nicht kaufen kann? Was neben Bestechung, Dauerbeschallung mit Comedy und Moderatoren mit zwanghaft guter Laune die Funkverbindung in meinem Fall aber besonders belastet, ist die zunehmende Ausrichtung aufs Lokale. Dies mag in Zeiten von Globalisierung und Konkurrenz aus dem Internet mancher als besondere Stärke des Mediums „Radio“ begreifen, aber die Kehrseite dieses Ultrakurzwellen-Funks ist ja auch: Von dem, was in der Welt geschieht, ist vor dem Weltempfänger heute nicht mehr allzu viel zu erfahren. Stattdessen werden die Gefilde bis zum Tellerrand des eigenen Sendegebiets so detailliert vermessen und ergründet, dass man in der jeweiligen Region heimatlich schon sehr tief verwurzelt sein muss, um das noch zu goutieren. Wenn dann auch noch vermehrt der Kontakt zu den Hörern gesucht und diese als Zeitzeugen zahlreicher Belanglosigkeiten in relevantem Maße zur Mitgestaltung des Programms eingesetzt werden, wird aus der vielgepriesenen Regionalität sehr schnell arge Provinzialität.

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Diese Stadtmusikanten kommen nicht aus Bremen, sondern samt und sonders aus Fernost.

Der ältere Mensch aber, der noch Anteil nimmt an der Welt und der einst vielleicht sogar vom Land in die Stadt geflohen ist auf der Suche nach kosmopolitischeren Daseinsformen, steht ratlos in der heutigen Radiolandschaft und träumt sehnsuchtsvoll von anderen Programmen und Heimaten: von einem Sender, der ganz ohne Wortmeldungen von Hörern auskommt, der auf Doppelmoderation weitgehend verzichtet (und stattdessen den Moderator wieder mit mir als Hörer sprechen lässt) und der ferner auch davon absieht, einen Hall oder sonstigen Effekt auf oder über die Stimmen zulegen. Denn die dadurch erzeugte Unnatürlichkeit und Künstlichkeit macht einem reinen Herzen den Sprecher ja sofort und automatisch zuwider. Ferner – und das wäre neben einer etwas reichweitenstärkeren Berichterstattung und Reportagekultur das Allerwichtigste – müsste auch das komplexe Musikproblem irgendwie gelöst werden.

Denn angesichts der inzwischen doch recht hohen Lebenserwartung und den großen Veränderungen in der Alltagskultur, ist es heute einfach nicht mehr möglich, den Menschen nach seiner Zeit auf dem Jugendsender einfach auf die Oldie- oder Klassikschiene abzuschieben. Denn auch wenn es schwerer wird: Ich habe musikalisch noch nicht abgeschlossen. Es kann nicht sein, dass ich dazu verdonnert bin, mir nun 30, 40 oder gar noch mehr Jahre lang immer und immer wieder dieselben alten Lieder anzuhören (von denen ich einerseits recht viele schon zu ihrer Zeit nicht mochte und andererseits ebenso viele nicht einmal aus meiner Zeit stammen). Aber kein Vertun: Auch das „Beste der 80er, 90er und von heute“ ist für mich keine taugliche Lösung. Denn die Dauerschleife, in der heute überall nur die Charts rauf- und runtergedudelt werden, hat nicht nur senderübergreifend die Radio-Hitparade (früher der Höhepunkt der Radiowoche) überflüssig gemacht, sondern belastet vor allem den Dauerhörer enorm. (Von WDR2, das mir eine Zeitlang als Möglichkeit erschien, zum Beispiel habe ich mich verabschiedet, als über Wochen jeden Tag (!) zwischen 13 und 14 Uhr „Lieblingsmensch“ von Namika gespielt wurde, ein Lied zumal, das auch ohne jegliche Wiederholung jeden Besitzer eines halbwegs akzeptablen Musikgeschmacks umgehend erbrechen lässt.)

Nun werden mir viele zum Streaming raten. Dass dies aber für eine echte, eingefleischte Radiohörerin völlig insdiskutabel ist, bedarf keiner Begründung. Ich hoffe stattdessen weiterhin auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dessen Innovationskraft, die am Ende vielleicht doch einen akzeptablen Spartensender für die Frau im besten Merz-Spezial-Dragees-Alter gebiert. (You´ve yet to have your finest hour!) In einem ersten Schritt könnte die ARD vielleicht mal eine Themenwoche zu dem Problem veranstalten.

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